Kaiserhofstraße 12

1980

 

Filmliste Rainer Wolffhardt

 

  

  

Regie

Rainer Wolffhardt

Drehbuch

Ann Ladiges

Vorlage

nach Motiven des Buches von Valentin Senger

Redaktion

Hans Prescher

Produktion

Hessischer Rundfunk

Kamera

Rolf Romberg

Länge

103 Minuten

Ur-/Erstaufführung

17. Dezember 1980

Genre

Fernsehspiel nach literarischer Vorlage

  

  

  

Darsteller

Rolle

Christoph Eichhorn

Valentin Senger

Alexander Ruppert Valentin Senger als Kind
Doris Schade Olga Senger, seine Mutter
Sigfrit Steiner Jakob Senger, sein Vater
Monika Baumgartner Paula Senger, seine Schwester
Georg Lehn Franz Sommer

                  

 

 

Inhalt

Im Kriegsjahr 1944 fährt ein Leichenwagen von Jügesheim nach Frankfurt. Auf dem Kutschbock sitzt der junge Valentin Senger. Er will seine tote Mutter nach Frankfurt bringen, damit sie dort ihre letzte Ruhestätte findet, wo die Sengers jahrelang davor zitten mussten, als Juden erkannt und in ein Vernichtungslager deportiert zu werden. Auf der langen Fahrt zwischen Fliegerangriffen und einer gefährlichen Kontrolle durch Feldgendarmen gehen die Gedanken des jungen Mannes zurück in die Vergangenheit. Was er und seine Angehörigen durchmachten, wird in der Erinnerung wieder lebendig.

  

Jakob Senger und seine Frau Olga leben seit 1911 in der Frankfurter Kaiserhofstraße  zwischen Hauptwache und Opernplatz. Der verfolgte Emigrant aus dem zaristischen Rußland hat seine revolutionäre Vergangenheit sorgfältig verborgen gehalten, dagegen wissen Freunde und Nachbarn, dass die Sengers Juden sind. Vali, der 1918 geborene Sohn, muss sich dafür manche Bosheit seiner Altersgefährten gefallen lassen; wirklich gefährlich aber wird es für die Sengers erst, als Hitler 1933 an die Macht kommt und die Verfolgung der jüdischen Mitbürger beginnt. Ein menschenfreundlicher Polizeimeister aus der Nachbarschaft hilft. Von sich aus korrigiert er heimlich die Meldekarte der Familie, aus dem Glaubensbekenntnis "mosaisch" wird "religionslos". Damit macht er es den Sengers möglich, sich fortan für Wolgadeutsche auszugeben. Die Gefahr der Entdeckung bleibt jedoch, auch wenn Valis Biologielehrer, ein eifriger Anhänger der braunen Rassenideologie, dem Jungen versichert, er sei von guter arischer Rasse. Paula, Valis Schwester, muss auf Drängen der Mutter den Kontakt zu ihrem Freund Seli abbrechen. Aber es gibt auch Menschen, die weiterhin helfen. Der Inhaber eines Bauunternehmens stellt Vali gegen die Vorschriften als Lehrling ein. Als der junge Mann zu einer Untersuchung muss, sieht der Arzt, dass Vali beschnitten ist. Er durchschaut die verworrene Geschichte, die der Patient ihm erzählt, aber er zeigt ihn nicht an. Für die Sengers indessen wird trotz dieser Glücksfälle die Angst vor der Entdeckung immer größer...

  

  

Tragisches und Komisches in der "Kaiserhofstraße 12"

Von Rainer Wolffhardt  

  

Als ich vom Hessischen Rundfunk das Angebot bekam, einen Film zu inszenieren, der hauptsächlich in der Nazi-Zeit spielen sollte, reagierte ich zunächst mit zwiespältigen Empfindungen: Ich hatte über längere Zeit hinweg einige Filme gedreht, in denen diese Epoche - wenn auch meist nicht direkt, sondern mehr peripher - eine große Rolle spielte. Diese Filme behandelten alle einen gewissen Eskapismus (Anmerkung: Flucht aus oder von der realen Welt. rk), mit dem verschiedene Schichten der deutschen Gesellschaft auf jene Zeit reagierten bzw. nicht reagierten ("Jugend einer Studienrätin", "Jugendliebe", "Die Unfähigkeit zu trauern"). Ich wollte nicht unbedingt diesen Filmen einen weiteren der Art hinzufügen, so notwendig ich auch damals solche Filme empfunden hatte.

 

Als ich aber das Buch "Kaiserhofstraße 12" von Valentin Senger gelegen habe, änderte ich meine Meinung und sagte spontan zu. In "Kaiserhofstraße 12" passiert etwas Merkwürdiges, das sich zunächst fast zynisch anhört. Ich entdeckte in dieser biographischen Geschichte der jüdischen Familie Senger, die die Nazi-Zeit überlebt an mehreren Stellen das Element der - ja, man erschrecke nicht - das Element der Komik. Eine Komik allerdings, die natürlich nicht befreiendes Lachen auslöst, sondern ständig die tragische Komponente enthält.

 

Um zunächst beim Element des Tragischen zu bleiben, so ist dies am stärksten in der Figur der Mutter enthalten, und zwar durchaus im Sinne der antiken Tragödie. Man weiß, wie leichtfertig z.B. der Journalismus mit diesem Begriff umgeht; man denke nur an Berichte über den "tragischen Tod eines Kaminkehrers, der in der Ausführung seines Berufes vom Dach stürzte" - das mag traurig sein, schrecklich vielleicht, wenn man an seine Witwe und seine fünf unmündigen Kinder denkt - mit Tragik hat das nicht zu tun, die Definition des Tragischen im antiken Sinn meint "unschuldig schuldig werden" - klassisch exemplifiziert in der  Figur des Ödipus. 

 

Zurück zur Mutter, die in gewisser Weise die Zentralfigur in der "Kaiserhofstraße" bildet: sie rettet die Familie - mehr als der Vater - vor Verfolgung und Tod. Und zwar bewältigt sie das durch äußerste Konsequenz der Tarnung. Dies aber bedeutet auch Unterdrückung, z.B. durch die Tatsache, dass sie, die Mutter, ihren beiden Kindern so gut wie jeglichen Kontakt mit der Außenwelt verbietet. Sie fordert auch ständiges Nachgeben, ja Unterwerfung, beim Streit mit anderen Kindern, in der Schule und in ähnlichen Situationen. Diese Unterdrückung durch die Mutter richtet bei den Kindern psychische Schäden an, die bis ins spätere Leben - auch nach glücklich überstandener Nazi-Zeit - fortwirken. Diese Mutter hat ihre Familie gerettet - aber um welchen Preis! Sie tat mit beinahe übermenschlicher Kraft das Richtige, sie musste es tun - und wurde doch an ihren  Kindern schuldig: dies bedeutet Tragik im ursprünglichen Sinne. Die Mutter von Valentin Senger ist eine tragische Gestalt. 

 

Was nun das Komische betrifft, besser das Tragikomische, so treten in dieser Geschichte mehrere Situationen ein, die durchaus diese Bezeichnung verdienen, am besten mit dem Beiwort "absurd" versehen.

 

Ein Beispiel: In der Schule wird Rassenkunde und Ahnenforschung unterrichtet. Der Lehrer kommt zu einer Etymologie des Namens Senger - der ja ein falscher ist! Der Lehrer führt ihn zurück auf einen Herzog im 30jährigen Krieg und auf das Verbum "sengen". Vali muss trotz der gefährlichen Situation beinahe lachen. Dann erhalten die Schüler die Aufgabe, ihren Stammbaum aufzuzeichnen. Nächste Szene: In der Familie Senger wird Schabbes gefeiert. Vali platzt mit der Mitteilung herein: "Ich brauche einen Stammbaum." Die Reaktion der Mutter: "Masseltow", was eigentlich "Viel Glück" heißt - ein typisch jiddischer Euphemismus. 

 

Nächste Szene: Der im Familienrat gebastelte "Stammbaum" wird in der Schule als vorbildlich dargestellt. Aber nun nimmt der Lehrer bei Vai eine Schädelmessung vor. Vali lässt sie - vor Angst schwitzend  - über sich ergehen. Das Ergebnis verkündet der Lehrer stolz: "Eine gute arische Rasse - mit ostischem Einschlag."

Hier wird mit den Mitteln der Komik die ebenso verbrecherische wie  unwissenschaftlich dumme Rassenlehre des Nationalsozialismus ad absurdum geführt.

 

Tragik? Komik? Valentin Senger ist es in seinem Buch gelungen, beide Elemente gleichwertig zu verwenden. Ich hoffe, dass uns, die wir diesen Film gemacht haben, etwas ähnliches gelingt.

 

  

  

  

  

  

  

  

  

 

 


  

 

 

  

   

   

   

   

   

   

    

   

   

  

Layout: Rosemarie Kuheim

Bearbeitet: 27. Dezember 2020

  

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