Thomas Brasch
Regisseur - Drehbuchautor
Geboren
am 19. Februar 1945 in Westow/Yorkshire/England. Er starb am 3. November 2001 in Berlin. Sohn antifaschistischer deutsch-jüdischer Emigranten. 1947 Rückkehr der Familie in die spätere DDR, der Vater wird Staatssekretär und stellvertretender Minister für Kultur; Schulbesuch in Cottbus.
1956 - 1960 Kadettenschule der Nationalen Volksarmee. Abitur. 1964 Journalistenstudium in Leipzig, 1965 zwangsweise exmatrikuliert. 1966 Theaterarbeit an der Volksbühne Berlin. 1967 Dramaturgie-Studium an der Filmhochschule Babelsberg. 1968 Relegation und Gefängnis wegen "staatsfeindlicher Hetze" (Protest gegen den Einmarsch in die CSSR). 1969 auf Bewährung entlassen, dann Fräser in einer Berliner Fabrik. 1971 Arbeit im Brecht-Archiv, danach freier Schriftsteller.
1976 nach Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns Ausreiseantrag und Übersiedlung in die Bundesrepublik.
1977 Erfolge mit Theaterstücken, mit dem Prosaband Vor den Vätern sterben die Söhne. Seine Erzählung wurde unter diesem Titel von Claudia Holldack verfilmt.
Ab 1980 setzt sich
Brasch auch in Spielfilmen heftig mit deutscher Vergangenheit
auseinander.
Thomas Brasch war mit der Schauspielerin Katharina Thalbach liiert.
Die Regisseurin Annekathrin Hendel hat über die Familie Brasch einen 100-minütigen Dokumentarfilm mit dem Titel "Familie Brasch - eine deutsche Geschichte" gedreht, der am 9. Oktober 2019 um 22:45 Uhr in der ARD ausgestrahlt wurde.
Bei Wikipedia ist zu lesen: "Am 3. November 2001 starb der Schriftsteller Thomas Brasch. 1988 hatten sich Brasch und Christoph Rüter während der Inszenierung von Leonce und Lena (Georg Büchner) unter der Regie von Christof Nel am Theater der Freien Volksbühne kennengelernt. Nach einem ersten Porträt für 3sat zum 60. Geburtstag von Brasch (2005) präsentierte Rüter fünf Jahre später mit Brasch – Das Wünschen und das Fürchten einen Film über den früh verstorbenen Autor, der seine Premiere in der Sektion Panorama auf der Berlinale 2011 erlebte. Ausschlaggebend für diesen Kinofilm waren der Fund von vielen DV-Kassetten aus dem Privatbesitz von Thomas Brasch. Der Schriftsteller hatte über viele Jahre hinweg immer wieder eine kleine Kamera auf sich gerichtet – manchmal wurde er auch von Rüter oder anderen gefilmt. Diese Videoprotokollen wurden zur Basis des neuen Films. Brasch gibt sich darin Rechenschaft über das ab, was von seiner Seite aus „gewünscht“ und „gefürchtet“ werden sollte. „Nichts von den üblichen Vergangenheitsvergewisserungen, schon gar keine Gespräche mit Zeitzeugen. Hier redet nur einer, sagt Rüter, und das ist Brasch selbst.“, schrieb Kerstin Decker im Tagesspiegel."
Literaturhinweise
- Thomas Brasch: Es stimmt nicht, daß man sehr schnell untergeht. In: Frankfurter Rundschau vom 24.8.1977, S. 7. - Thomas Brasch: Für jeden Autor ist die Welt anders. In: Die Zeit vom 22.7.1977, S. 35. - Thomas Brasch: Ich stehe für niemand anders als für mich. In: Der Spiegel vom 3.1. 1977, S. 79 - 81. - Thomas Brasch: Neuankömmling. In: Alternative 113/1977, S. 93-101. - Thomas Brasch: Wenn man anfängt, dem Bild zu ähneln, das sich die Umwelt von einem macht.
In: Arbeitsbuch Thomas Brasch, hrsg. von Margarete Häßel und Richard Weber. - Frankfurt, 1987, S. 17 - 27.
Zum Tode von Thomas Brasch
(mit seiner freundlichen Genehmigung) aus: "Junge Welt" vom 23.11.2001
"Brasch
und ich studierten in den Sechzigern zur gleichen Zeit an der »Deutschen
Hochschule für Filmkunst« in Potsdam-Babelsberg, er Filmdramaturgie, ich
Schauspiel.
Dann
lernte Brasch Herrn Mettke kennen, den Spiegel-Korrespondenten in Ostberlin.
Mediale Westverbindung machte mächtig. Ich war inzwischen Meisterschüler
Konrad
Wolfs. Aber
auch Theater interessierte weiterhin, weniger ästhetisch als von den
politischen Schlupfmöglichkeiten her. Ich schlug eine Collage fürs Theater in
der Belforter Straße (heute Bat) vor, mit Brasch, Lothar Trolle, Stefan Schütz,
Jörns Pfeiffer und mir zum Thema: Revolution 1848. Gescheiterte deutsche
Revolutionen bildeten damals das Herzstück zum theoretischen Verständnis der
deutschen Lage. Aber die Virtuosen, alles Schüler von Heiner Müller, kamen
unter keinen Hut. 1973 trat ich als Nachwuchsregisseur in die DEFA ein. Meine
bevorzugten Autoren hießen Müller, Brasch, Barbara Honigmann, Sarah Kirsch.
1976 gingen Brasch und Thalbach nach ihrem Protest gegen die Ausbürgerung von
Biermann in den Westen. Mein Film-Projekt konnte ich begraben. Auf der
Abschiedsfeier mit Müller, Mattias Langhoff, Kurt Bartsch wurde Bartsch zum
ersten Urheber des vorletzten DDR-Witzes: »Der Letzte macht das Licht aus!«
Peter
Pragal von der Süddeutschen Zeitung exportierte Brasch publizistisch in den
Westen. Etwas autistisch sah ich ihn vor der Kamera Georg Stefan Trollers auf
der Mattscheibe. Nachts sein Anruf, was ich ihm raten würde. Er könnte einen
reichlich ausgestatteten Kinofilm machen, oder mit dem »Kleinen Fernsehspiel«
des ZDF einen kleinen Kinofilm. Ich riet zum »Kleinen Fernsehspiel«, doch er
griff zum großen Budget und drehte seinen besten,
Engel
aus Eisen. 1978 kam ich in den Westen. Wir trafen uns bei ihm und Kati
in der Droysenstr. Ein paar Meter weiter heißt sie Nestorstraße, wo einst
Vladimir Nabokov in der Badewanne Weltromane schrieb. Brasch meinte, ich sollte
Gangsterfilme drehen, denn darauf würden auch die Amerikaner aufmerksam werden.
Ich holte statt dessen die »48-Revolution« und die »Matrosen von
Kronstadt«
nach. Brasch wurde ein gefragter und gefeierter Mann, publizistisch permanent
irgendwo anwesend. Fritz Raddatz bot ihm in der Zeit beinahe wöchentliche
Meinungsforen, und er äußerte sich prophetisch. So haben wir es bei Marx,
Brecht und Korsch und Benjamin gelernt.
Vor
allem aber schrieb er über das, wovon er träumte. Lyrik, Prosa, Stücke. Mit
dem »Kleinen Fernsehspiel« kooperierte er dennoch.
Domino,
Geschichte einer Aussteigerin. Es gab nur ein paar Schreibmaschinenseiten, kein
Drehbuch. Denn das Drehen verändert die Geschichte, verführt in theatralische
Räume. Kritische Reflektionen mochte er weniger. Seine Filme kamen nach Cannes.
Er sah jetzt Müller differenzierter, lernte Godard kennen, besuchte Charles
Bukowski und bereitete seinen großen und letzten Film vor:
Der
Passagier - Welcome in Germany. Tony
Curtis als Hauptdarsteller, im Hinterkopf spukte der Oscar. Ein Flop, kaum
verstanden. In der Folge intensivierte Brasch wieder sein Schreiben. Das Jahr
1989 machte ihn nicht froh. Mutationen waren vorgesehen, der Zusammenbruch des
Kommunismus nicht. Die Theorie war keine, nur Hypothese. Nicht mal das.
Geschichte blieb weiterhin nicht voraussehbar. Weder er noch Biermann wurden als
Redner zum Alexanderplatz gerufen. Wie bei Rainer Werner Fassbinder oder Romy Schneider wurden Kokain und Alkohol Weggefährten für Brasch. Seine Selbstansprüche wuchsen unermesslich. Ein Opus magnum, ein 13000-Seiten-Roman, mehr als Proust, Joyce, Musil zusammen, hätte ihn befrieden und anderen etwas beweisen können. Nach dreijähriger Edition druckte Suhrkamp nur ein schmales Bändchen. Brasch entwickelte Kinopläne, die im kommerziellen Zeitalter der Dürftigkeiten und Banalitäten kaum eine Chance hatten. Zur Premiere von Müllers »Arturo Ui« sah ich ihn nicht. Müller küsste jeden, wusste von seinem endgültigen Abschied. Zum letzten Mal traf ich Brasch dieses Jahr, durch Zufall, morgens um fünf in seiner Stammkneipe. Er kündete von Vorhaben, mehrere Theaterstücke mit Peymann oder ein Film, über Fonds finanziert, Projekte für die nächsten dreißig, vierzig Jahre. Ich erzählte ihm, dass sich sein ehemaliger Fachrichtungsleiter nach der Wende erschossen hat und dass meine Lebensgefährtin auch mein »IM« war, um ihm dann zu erklären, dass auch die größten Bewusstseinswelten von ein paar Pfund Herzmuskel abhängig sind. Er nickte mit Pokerface, aber hörte nicht mehr zu."
Layout:
Rosemarie Kuheim |