Irm Hermann
Schauspielerin Regie-Assistenz Aufnahmeleitung
Geboren am 4. Oktober 1942 in München. Sie stirbt am 27. Mai 2020 in Berlin.
Nach der Volksschule machte sie eine Ausbildung als Verlagskauffrau, arbeitete als Angestellte im Verlag der Zeitschrift "Quick", danach als Sekretärin beim ADAC.
"Bei einem Dramatikerwettbewerb hab' ich ihn kennen gelernt", erzählt Irm Hermann über ihre erste Begegnung mit Fassbinder, das war 1966. "Es lief das Stück Nur eine Scheibe Brot und wir sind anschließend in eine Kneipe gegangen". Sie kamen ins Gespräch und Fassbinder bot ihr eine Rolle in einem Kurzfilm an. Der Kurzfilm hieß Das kleine Chaos und war Fassbinders zweiter Kurzfilm überhaupt. Gemeinsam mit Fassbinder und Hanna Schygulla ist sie Gründerin des "action-theaters" (später "antiteater"). Über die berufliche Beziehung hinaus gehört Hermann bald zu Fassbinders engsten Vertrauten. Sie gründet sogar eine Schauspieler-Agentur, um Christof Roser, Hanna Schygulla und Fassbinder nach außen hin zu managen. Doch der Erfolg bleibt aus. Sie reiste von ihrem eigenen Geld mit Rainers Drehbuch Kalter Stahl (Arbeitstitel von Liebe - Kälter als der Tod) unter dem Arm durch die Lande, um bei Fernsehanstalten einen Financier für das Projekt zu gewinnen. Der einzige Erfolg, den sie dabei erringen konnte, war eine kleine Rolle für Fassbinder in einem Bundeswehr-Lehrfilm (Mit Eichenlaub und Feigenblatt von Franz-Josef Spieker).
Irm Hermann und Fassbinder unterhielten so etwas wie eine Hassliebe zueinander, und dieses Verhältnis spiegelte sich auch in den Rollen Irm Hermanns während dieser Zeit wider. Zumeist verkörperte sie die Rolle der unterwürfigen, Handlangerdienste verrichtenden Ehefrau oder Bediensteten, die nur in kleinen Auftritten zur Geltung kommen durfte. "Die Entscheidung war für mich schon sehr schwierig", erzählt Irm Hermann weiter. "Entweder ihn als Mann und die kleinen Rollen, um dabei zu sein, oder die Trennung und woanders mehr erhoffen." Lediglich in dem Film Händler der vier Jahreszeiten, der 1971 entstand, durfte sie die Hauptrolle spielen und wurde dafür prompt mit einem Bundesfilmpreis belohnt. Die Idee zu diesem Film entstand aus Fassbinders Verwandtschaftsverhältnissen heraus, war sein einziger Onkel doch Obsthändler. Irm Hermann spielte in diesem satirischen Denkmal für Fassbinders Verwandtschaft eine mürrische, ständig schlecht gelaunte Ehefrau, die auch mal von ihrem Mann verprügelt wird. Nach dem Tod des Obsthändlers übernimmt der Verkäufer Harry (Klaus Löwitsch) die Stelle ihres Mannes. In ihrem mit Blumen verzierten Kleidern sieht Irm Hermann so richtig schön bieder aus, trägt gelegentlich eine Brille, quält ihren Mann und wird von ihm gequält.
1975 verließ Irm Hermann die Fassbinder-Clique, heiratete den Kinderbuch-Autor Dietmar Roberg und zog von München nach Berlin um. Nach größeren Schwierigkeiten, neue Filmangebote zu bekommen, hat sie sich nach einigen Nebenrollen in Sternsteinhof, Woyzeck, und Endstation Freiheit zur ersten Garnitur hochgearbeitet. In Fünf letzte Tage spielte sie dann die Hauptrolle der Zellengenossin und Buchhalterin im Gestapogefängnis Else Gebel, die ihr gute Kritiken und einen Deutschen Filmpreis einbrachten. "Irgendwann war ich wohl genau der Typ, der dafür gebraucht wurde", schildert sie lakonisch ihren Part. "Adlon hat mich engagiert, ohne mich zu kennen und hat gar nicht gewusst, wer ich bin. Ich habe mich ein bisschen mit der Zeit auseinandergesetzt." Nach einem weiteren Film von Percy Adlon (Die Schaukel) und einem Film von Hans W. Geißendörfer (Ediths Tagebuch) strebt sie vor allem eine langfristige Zusammenarbeit mit Regisseuren an. Zum Theater will sie jedoch nicht zurückkehren und auch die Arbeit hinter der Kamera - sie war Regie-Assistentin bei Wildwechsel und Faustrecht der Freiheit - reizt sie nicht weiter. In den 1990er-Jahren spielte sie auch unter der Regie von Christoph Schlingensief (Das deutsche Kettensägenmassaker und in Die 120 Tage von Bottrop.
In den letzten Jahren wirkte die Schauspielerin in diversen Kino- und Fernsehproduktionen mit, wie Die Erfindung der Liebe, Herzberg, Vatertage - Opa über Nacht und Lotta und die großen Erwartungen.
2009 konnte Irm Hermann den Deutschen Hörbuchpreis entgegennehmen.
Im September/Oktober 2013 war die Schauspielerin im Schauspielhaus Zürich in dem Georg Büchner-Stück Woyzeck in einer Doppelrolle zu sehen sein (weitere Informationen hierzu).
Bei www.steffi-line.de ist u.a. zu lesen: "Am 15. Oktober 2014 fand an der Berliner "Volksbühne" die Uraufführung des Stücks "Tessa Blomstedt gibt nicht auf" statt, in Szene gesetzt von dem Schweizer Regisseur Christoph Marthaler. In dem "gefällig komischen Abend" bzw. Liederabend über Liebe im Zeitalter des Internets steht "die herrlich spröde staksige Irm Hermann" im Mittelpunkt. "Sie verkörpert die offensichtliche Abneigung des Regisseurs gegen Computerliebe. Stur gießt, säubert und schüttelt sie ihre Grünpflanzen analog und versteht vom digitalen Garten der Sinne nur Bahnhof. Wenn sie Verse deutscher Liebesschnulzen ernsthaft rezitiert, liegt das Publikum am Boden." kann man bei www.rbb-online.de lesen; siehe auch www.welt.de und www.tagesspiegel.de."
Irm Hermann in Fassbinder-Filmen:
Acht Stunden sind kein Tag (Rolle: Irmgard Erlkönig)
Angst essen Seele auf (Rolle: Krista)
Angst vor der Angst (Rolle: Lore)
Berlin Alexanderplatz (Rolle: Trude)
Das kleine Chaos (Rolle: Frau)
Der amerikanische Soldat (Rolle: eine Hure)
Der Stadtstreicher (Rolle: Frau)
Die bitteren Tränen der Petra von Kant (Rolle: Sekretärin Marlene)
Faustrecht der Freiheit (Rolle: Mlle Cherie de Paris, hier war Irm Hermann auch Regieassistentin)
Fontane Effi Briest (Rolle: Johanna)
Frauen in New York (Rolle: Olga / Miriam)
Götter der Pest (Rolle: ?)
Händler der vier Jahreszeiten (Rolle: Irmgard Epp)
Katzelmacher (Rolle: Elisabeth)
Liebe - Kälter als der Tod (Rolle: Sonnenbrillenverkäuferin)
Lili Marleen (Rolle: Krankenschwester)
Nora Helmer (Rolle: Helene)
Pioniere in Ingolstadt (Rolle: Alma)
Warum läuft Herr R. Amok? (Rolle: Nachbarin)
Wildwechsel (Rolle: Polizeibeamtin)
Weitere Filme mit Irm Hermann (Auswahl)
Mathias Kneißl (Rolle: Gefängniswärterin), 1971, Regie Reinhard Hauff
Die Ahnfrau (Rolle: Die Köchin), 1971, Regie Peer Raben
Ein unheimlich starker Abgang (Rolle: Die "Gnädige"), 1973, Regie Michael Verhoeven
Die Revolte (Rolle: Mädchen auf der Gocartbahn), 1969, Regie Reinhard Hauff Ein Versicherungsangestellter, der lange Zeit seinen Job gewissenhaft erfüllt hat, steigt aus und sucht eine Alternative zum Kleinbürgerdasein. Bedeutungsschwerer Film.
Sternsteinhof (Rolle: Sali), 1975, Regie H. W. Geißendörfer
Schatten der Engel (Rolle: Emma), 1975, Regie Daniel Schmid
Die Ängste des Dr. Schenk (aus der Reihe: Geschichten zwischen Tag und Traum) (Rolle: ?), 1978, Regie Herbert Vesely
Eisenhans (Rolle: Sozialhelferin), 1983, Regie Tankred Dorst Hans Schroth ist Lkw-Fahrer und wird wegen seiner Bärenkräfte "Eisenhans" genannt. Er lebt mit Frau und seiner geistig behinderten Tochter Marga an der deutsch-deutschen Grenze. Geographisch und sozial isoliert flüchtet er in seine Innenwelt und findet Trost nur in der Liebe zur "unschuldigen" Marga. Seine Umgebung verdächtigt ihn des Inzests. Der verzweifelte Außenseiter wird seiner Frau gegenüber handgreiflich; sie zeigt ihn an und Eisenhans wird festgenommen.
Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse (Rolle: ?), 1984, Regie Ulrike Ottinger
Reichshauptstadt privat, 1987, Regie Horst Königstein Mit Wolfgang Menge realisierte Horst Königstein das Großprojekt über Alltagsleben im Berlin der Nazi-Zeit.
Das Spinnennetz (Rolle: Gefangene Rote), 1989, Regie Bernhard Wicki
Der Passagier - Welcome to Germany (Rolle: KZ-Kommandantin), 1988, Regie Thomas Brasch Ein jüdischer Erfolgsregisseur kommt aus Amerika nach Deutschland zurück, wo er in den Kriegsjahren gemeinsam mit anderen KZ-Häftlingen als Statist in einem antisemitischen Film der Nazis mitwirken musste. Um sein Gewissen zu entlasten, will er nun einen Dokumentarfilm über die damaligen Geschehnisse drehen – denn er verschuldete durch einen Verrat den Tod eines Freundes. Schwermütiger Problemfilm.
Das deutsche Kettensägenmassaker (Rolle: Zöllnerin), 1990, Regie Christoph Schlingensief
Deutschlandlied (Rolle: Fräulein Kitzing), 1995, Regie Tom Toelle
Willi und die Windzors (Rolle: Queen Elizabeth), 1996, Regie Hape Kerkeling
Soeben
verkündet das britische Unterhaus die aktuelle Meldung: Die Monarchie ist
abgeschafft!
Für mich gab's nur noch Fassbinder (Rolle: Sie selbst), Dokumentation, 2000, Regie und Drehbuch Rosa von Praunheim
Reine Geschmackssache (Rolle: Frau Retzlaff), 2006, Regie Ingo Rasper
Die Libelle und das Nashorn (Rolle: Verlegerin), 2012, Regie Lola Randl
Bearbeitet: 30. August 2023 Diese Kurzbiografie kann nur rudimentär sein und die auf der Seite genannten Filme nur eine Auswahl von Filmen der Künstlerin / des Künstlers enthalten. Die Angaben erheben daher keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit, deshalb sind Links angebracht, die weitere Hinweise geben. Da ich auf Inhalte zu externen Webseiten keinen Einfluss habe, kann ich auch keine Gewähr dafür übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich. Die verlinkten Seiten wurden zum Zeitpunkt der Verlinkung auf mögliche Rechtsverstöße überprüft. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten ist jedoch ohne konkrete Anhaltspunkte einer Rechtsverletzung nicht zumutbar. Bei Bekanntwerden von Rechtsverletzungen werden derartige Links umgehend entfernt. Sollten mir bei den o.g. Angaben inhaltliche Fehler unterlaufen sein, so werden diese bei entsprechender Nachricht und Kontrolle korrigiert. Einige Informationen entnommen aus dem Buch "Die neuen Stars des deutschen Films", Heyne TB Nr. 78, 1985. Vielen Dank an Siegfried Tesche - mit Erlaubnis des Autors.
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